Rede Werner Hensel, Ostermarsch Braunschweig

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Werner Hensel beim diesjährigen Ostermarsch in Braunschweig, am 16. April 2022.


Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

Bundeskanzler Scholz kündigte zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine eine „Zeitenwende“ an, ein „Sondervermögen“ für Aufrüstung wurde aufgelegt.

Ja, wir brauchen eine Zeitenwende, wir brauchen Sondervermögen in Höhe von mehrfach 100 Milliarden Euro.

Wir brauchen eine Zeitenwende hin zu friedlicher Zusammenarbeit – weg von Aufrüstung, Drohgebärden und Ausweitung militärischer Einflusszonen.

Dieser Kurs hat aktuell seinen Tiefpunkt im Krieg Russlands gegen die Ukraine erreicht.

Aus diesem völkerrechtswidrigen Krieg gibt es nur einen Ausweg: sofortiger Waffenstillstand, Rückzug der russischen Truppen, Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine und Verhandlungen.

Waffenlieferungen werden diesen Krieg und damit das Leiden der Bevölkerung verlängern.

Waffenlieferungen haben nur einen Gewinner: die Rüstungsindustrie.

Wir brauchen Verhandlungen über ein System gemeinsamer Sicherheit in Europa unter Einbeziehung der Ukraine und Russlands.

Wir brauchen ein Verbot von Waffensystemen mit einer Flugzeit von wenigen Minuten zu ihrem Ziel in der Nachbarschaft von Atommächten.

Die Gefahr von technischen Fehlfunktionen, die angesichts der kurzen Zeit nicht mehr korrigiert werden können, ist viel zu groß. Die Folge kann ein Atomkrieg sein, der von automatisierten Waffen-Systemen ausgelöst wurde.

Vor 40 Jahren hatte ein Offizier der Roten Armee 28 Minuten Zeit, um einen Fehlalarm seines Satelliten-Systems festzustellen bis er den Gegenschlag auslösen musste. Der Satellit hatte den Start von US-Atomraketen gemeldet. Nach 17 Minuten stand fest: Es war eine Fehlfunktion. Die Klugheit eines Offiziers hatte die Menschheit vor dem nuklearen Inferno bewahrt. Bei einer Flugzeit von 5 Minuten bleibt diese Zeit nicht mehr.

Deshalb bleiben wir dabei: Keine neuen schnelleren Waffen-Systeme, Atomwaffen raus aus Deutschland!

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde

Ich bin für mehrere Sondervermögen.

Erstens ein Sondervermögen für Maßnahmen zur Verhinderung der Klimakatastrophe.

Für den Umbau des Verkehrssystems zugunsten eines leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehrs.

Für den Umbau der Energieerzeugung zugunsten regenerativer Energiequellen.

Für Förderung von Maßnahmen zur Energie-Einsparung und Wärmedämmung.

Dafür werden 100 Milliarden nicht ausreichen.

Wie soll die Abkehr von fossilen Energiequellen gelingen, wenn die dafür notwendigen Milliarden für Rüstung verschwendet werden? Entweder Rüstung oder sozial-ökologischer Umbau!

Zweitens ein Sondervermögen zur Bekämpfung des Hungers in der Welt, für die Versorgung der Menschheit mit Trinkwasser.

Von der Grundversorgung mit Nahrung und Trinkwasser sind aktuell hunderte von Millionen Menschen ausgeschlossen. Über 2 Milliarden Menschen haben keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Der Klimawandel wird diese Probleme verschärfen.

Um das zu verändern braucht es braucht es zuerst die Beendigung des Krieges in der Ukraine, damit die Produktion von Weizen, Speiseöl und Dünger wieder Vorkriegsniveau erreichen kann.

Dann braucht es Geld für die Trinkwassererschließung und -versorgung.

Dann braucht es den politischen Willen, die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu verbieten.

Uns muss klar sein, dass die Nichtlösung dieser Probleme neue Kriege, zur Folge haben wird. Aber auch ohne neue Kriege werden sich Millionen Menschen auf den Weg machen, um ihren lebensfeindlichen Umständen zu entkommen.

Wenn hunderte von Milliarden für Rüstung verschwendet werden, haben wir kein Geld mehr, Millionen Menschen ausreichend zu ernähren.

Drittens ein Sondervermögen für die Aufwertung unseres Gesundheits- und Bildungswesens.

Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, was schon vorher schlecht war: Der Personalmangel im Gesundheitswesen, in der Pflege. Dessen wesentliche Ursache ist, dass aus Gesundheit und Pflege ein Geschäft gemacht wurde. Die Folge: unzureichende Bezahlung und unzumutbare Arbeitsbedingungen, welche die Menschen aus dem Beruf treiben. Die Anhebung der Gehälter aller Pflegekräfte Deutschlands auf das Niveau des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes würde rund 5,2 Milliarden Euro im Jahr kosten. (- schrieb das Ärzteblatt). Diese Unsumme verschlingt die Anschaffung der 35 neuen F-35-Atombomber locker. Da verschwindet das Geld, was für ausreichend Fachkräfte in den Kitas notwendig wäre. Entweder Rüstung oder ein gutes Gesundheitswesen.

Viertens ein Sondervermögen für die weltweite Bekämpfung der Corona-Pandemie. Für dessen Anschub-Finanzierung hat die EU-Kommission die Summe von 7,5 Milliarden Euro genannt.

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde

Diese Summen für Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels, des Hungers, der Pandemie – also Maßnahmen, die das Überleben der Menschheit sichern, sind ein Bruchteil dessen, was aktuell für die Rüstung ausgegeben wird:

  • Deutschland zur Zeit 50 Mrd. pro Jahr, eine Steigerung auf über 70 Mrd. pro Jahr soll ins Grundgesetz – plus 100 Mrd. Sondervermögen.
  • Für die neuen europäischen Kampfflugzeuge und Kampfpanzer werden Entwicklungskosten von jeweils mindestens 100 Mrd. Euro genannt.
  • Weltweite Rüstungskosten aktuell knapp 2000 Milliarden Dollar jedes Jahr, davon allein knapp 800 Milliarden von den USA. Hat das die Welt sicherer gemacht?

Ob Sondervermögen für die Rüstung ausgegeben werden oder für die Lösung der großen Menschheitsprobleme und sozialer Missstände ist eine Frage des politischen Willens. Ob die Profitinteressen der Rüstungsindustrie befriedigt werden oder unser Interesse an einer lebenswerten Umwelt und sozialem Frieden entscheiden Politiker.

Helfen wir ihnen bei der Entscheidungsfindung!

Dazu möchte ich einen Berufssoldaten zitieren:

«jede Kanone, die hergestellt wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft, jede Rakete, die gestartet wird, (ist) ein Diebstahl von jenen ist, die hungern und denen nichts zu essen gegeben wird, die frieren und die nicht gekleidet werden». Die Rüstungsausgaben einer jeden Nation «verschwenden den Schweiss ihrer Arbeiter, den Genius ihrer Wissenschafter, die Hoffnungen ihrer Kinder».

Und weiter:

«Wir müssen auf der Hut sein vor unberechtigten Einflüssen des militärisch-industriellen Komplexes, ob diese gewollt oder ungewollt sind. Die Gefahr für ein katastrophales Anwachsen unbefugter Macht besteht und wird weiter bestehen. Wir dürfen niemals zulassen, dass das Gewicht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unseren demokratischen Prozess bedroht.»

Sagte Dwight D. Eisenhower vor 60 Jahren, damals US-Präsident, vorher US-General im 2. Weltkrieg.

Es ist tatsächlich eine Beleidigung für menschliche Intelligenz, für Ingenieurskunst, wenn sie für die Entwicklung sog. intelligenter Waffensysteme missbraucht wird, anstatt für neue Technologien für Energie-Einsparung und -Erzeugung, für Trinkwasser-Gewinnung, für eine Landwirtschaft, die ohne Umweltzerstörung die Menschheit ernährt.

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde

Wir brauchen eine fortschrittliche Zeitenwende, eine Zeitenwende für mehr Gerechtigkeit.

Dem steht die zunehmende Ungleichheit im Wege.

Ja, die Beschlagnahmung von Oligarchen-Vermögen ist eine gerechte Sache. Auf den 100-m-Luxusyachten der Superreichen können Flüchtlinge untergebracht werden.

Es gibt nicht nur russische Oligarchen.

Mitten in der Corona-Pandemie lieferten sich zwei Milliardäre eine Wettlauf um private Ausflüge ins Weltall.

Mitten in der Klimakrise fliegt ein halbes Dutzend Super-Reicher für 50 Mio. Dollar pro Person zu einem Kurztrip auf die ISS. Bei den Super-Reichen dieser Welt sind anscheinend Mega-Yachten out – eine private Weltraumrakete muss es sein.

Während der Corona-Pandemie haben die 10 reichsten Menschen der Welt ihr Vermögen verdoppelt. Die Zahl erspare ich Euch, sie ist sowieso unvorstellbar.

Auch Ungleichheit ist eine Kriegsursache.

Für die Sondervermögen ist genug Geld da, wenn wir auf die Rüstung verzichten und die Reichen zur Kasse bitten – mit Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Sonderabgaben.

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

Unsere Politiker begründen ihre Entscheidungen für Aufrüstung, für Waffenlieferungen, für eine Zeitenwende mit den schrecklichen Bildern vom Krieg in der Ukraine.

Bilder von den aktuell ca. 20 Kriegen in der Welt könnten 24 Stunden pro Tag gezeigt werden.

Alle sind unerträglich – ob aus Mariupol, aus Charkiw, Butscha oder aus Marib, der zur Zeit umkämpften Stadt in Jemen, wo der Krieg ins achte Jahr geht, 150.000 Menschen das Leben gekostet hat und wo 13 Mio. Menschen vom Hungertod bedroht sind.

Auch die Bilder von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine sind unerträglich, genauso wie die Bilder von Kriegsflüchtlingen in den Wäldern Belarus‘, auf Lesbos oder den Lagern Libyens. Es darf keinen Unterschied beim Willkommen von Flüchtlingen geben – egal aus welchem Krieg, egal aus welchem Grund.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist schrecklich, er macht uns Angst, weil er so nah ist und zu einem Atomkrieg eskalieren kann. Aber andere Kriege sind nicht weniger schrecklich, weil sie weiter weg sind.

Wollen wir diese Bilder nicht mehr sehen, müssen Kriege verhindert werden, müssen Kriege so schnell wie möglich beendet werden.

Dann erübrigt sich auch jeder Streit darüber, ob Bilder wahr oder gefälscht sind.

Wir vergessen nicht, dass am Beginn großer Kriege stets große Lügen standen!

Der Friedensbewegung wird vorgeworfen, sie sei aus der Welt gefallen, weil sie Waffenlieferungen ablehne. Wir sind mit unserer Haltung und unseren Forderungen sehr aktuell.

Die Friedensbewegung bleibt dabei – unser Marsch ist eine gute Sache!

Die Waffen nieder!

Verhandeln statt Schießen!

Abrüstung statt Aufrüstung!

Die Rede finden Sie hier als PDF.

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