Produktionsstopp bei VW: Interview mit Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender bei VW Braunschweig
UZ: Bei VW wurde deutschlandweit die Produktion für mindestens zwei Wochen gestoppt. Ein großer Teil der Kolleginnen und Kollegen wurde auf Kurzarbeit gesetzt. Was hat zu dieser Entscheidung geführt?
Uwe Fritsch: Die Auswirkungen der „Coronakrise“ für das gesellschaftliche Leben, die Wirtschaft, bis hinein in das persönliche Umfeld, haben sich in den letzten Tagen dramatisch zugespitzt. Die Zuliefererketten sind stark beeinträchtigt, durch die aktuellen Entscheidungen vieler europäischer Staaten unterbrochen und der Absatz ist inzwischen zum Erliegen gekommen. Deshalb gibt es Kurzarbeit. Gleichzeitig geht es um den größtmöglichen gesundheitlichen Schutz unserer Kolleginnen und Kollegen. Dort, wo weitergearbeitet wird, wie in der Energiezentrale oder zum Beispiel der Werkfeuerwehr, aber auch in Bereichen, in denen es aktuell noch keinen Arbeitsmangel gibt, sind Vorkehrungen zum erhöhten Schutz vor möglichen Infektionen getroffen worden.
Zum Beispiel wird ein größerer Abstand zueinander eingehalten, Arbeitsfolgen werden umgetaktet, Schichten entzerrt und vieles mehr. Dort, wo es möglich ist, wie beispielsweise in Entwicklungsbereichen, arbeiten Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der sogenannten „mobilen Arbeit“ von zuhause aus. Es geht in allen Bereichen darum, im Interesse der Menschen umsichtig und besonnen mit der Bedrohung durch das Coronavirus umzugehen.
UZ: Was bedeutet die Kurzarbeit finanziell für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen?
Uwe Fritsch: Die massiven wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zeigen sich bereits jetzt deutlich. Kurzarbeit soll Entlassungen verhindern. Für die Zeit der Kurzarbeit erhalten die betroffenen Beschäftigten 60 beziehungsweise 67 Prozent eines Netto-Grundentgeltes, wenn mindestens ein Kind zu versorgen ist.
Bei Volkswagen haben wir eine tariflich abgesicherte Aufzahlungsregelung. In der jetzt geschlossenen Kurzarbeitsvereinbarung wurde die Aufzahlung noch einmal auf 100 Prozent des monatlichen Grundentgeltes verbessert. Es ist wichtig, dass die verfügbaren Einkommen für den Lebensunterhalt, wie zum Beispiel die Miete, so weit wie möglich erhalten bleibt. Das darf nicht nur für Volkswagen gelten!
UZ: Im Betriebsratsbüro laufen bei euch sicherlich die Telefone heiß. Was verunsichert die Kolleginnen und Kollegen?
Uwe Fritsch: Die vollkommen ungewisse Lage angesichts der Bedrohung durch das Coronavirus bereitet allen große Sorge. Wir verstehen, dass Kolleginnen und Kollegen auch mit Angst darauf reagieren. Die Auswirkungen in anderen Ländern haben noch eine zusätzliche Wirkung.
Im Moment geht es vor allem darum, dass jede und jeder seinen Beitrag dazu leistet, dass die Ausbreitung des Virus abgeschwächt wird. Das heißt konkret: Am besten zu Hause bleiben. So wenig soziale Kontakte wie nur irgend möglich. Jetzt ist einerseits Distanz und Abstand gefordert, zugleich aber andererseits größtmögliche Solidarität und Zusammenhalt. Man kann denjenigen, die jetzt konkret anpacken, um den Erkrankten zu helfen, wie Pflegerinnen und Pflegern, den Ärztinnen und Ärzten in den Krankenhäusern und den vielen Helfenden gar nicht genug für ihren Einsatz danken. Anerkennung verdienen aber auch die, die innerhalb und außerhalb der Betriebe die Infrastruktur erhalten und am Laufen halten.
Es gibt ja auch wieder eine Zeit nach der „Coronakrise“!
UZ: VW ist ein international agierender Konzern. Wie ist die Situation an Standorten außerhalb Deutschlands? Was bedeutet das beispielsweise für die Beschäftigten in Ländern, die die Kurzarbeiterregelungen wie bei uns nicht kennen?
Uwe Fritsch: Über den Gesamt-, Konzern- und den Weltkonzernbetriebsrat haben wir den Vorstand von Volkswagen aufgefordert, an allen Standorten Verantwortung für seine Beschäftigten zu übernehmen und Regelungen zur sozialen Absicherung zu treffen. Tatsächlich sind jedoch die gesetzlichen Mindestregelungen bei Arbeitsausfall international sehr unterschiedlich. Aber nicht nur international. Auch hier in Deutschland gibt es zwar Kurzarbeitergeld, aber für die wenigsten der Beschäftigten in den anderen Betrieben eine Aufzahlung zur Absicherung des Einkommens wie bei Volkswagen. Immerhin schafft jetzt die Krisenvereinbarung in der Metall- und Elektroindustrie etwas Entlastung und sorgt für eine Verbesserung. Gerade am Wochenende sind im Tarifgebiet NRW dazu Beschlüsse gefasst worden, darunter der „Solidartarifvertrag 2020“, die Reaktivierung des Tarifvertrages „Zukunft in Arbeit“ aus 2008/09, die Entgeltumwandlung zur Sicherung der monatlichen Einkommen, die TV-Anspruchsvoraussetzungen und weitere betriebliche und überbetriebliche Regelungen. Unsere Erwartung ist die Übernahme in allen anderen Tarifgebieten.
UZ: Ist es absehbar, ob die Krise den Umbau der Automobilindustrie in Richtung E-Mobilität forcieren wird?
Uwe Fritsch: Es ist noch gar nicht abzusehen,
welche Auswirkungen die „Coronakrise“ haben wird.
Je länger der gesundheitlich notwendige Stillstand andauert, desto drastischer
werden die wirtschaftlichen Folgen sein. Das dürfte klar sein und das
verunsichert unsere Kolleginnen und Kollegen zusätzlich. Die Mehrheit der
Expertinnen und Experten rechnen mit einer Rezession.
Der Umbau in Richtung E-Mobilität ist in der Automobilindustrie auch von den
Notwendigkeiten der Begrenzung des CO2-Ausstoßes und des Stopps des
Klimawandels getrieben. Selbst wenn das Thema aktuell sehr in den Hintergrund
gedrängt ist, so ist es doch nach wie vor unbestritten wichtig. Der
klimapolitische Handlungsbedarf bleibt trotz „Coronakrise“ bestehen.
UZ: Es wird eine Zeit nach Corona geben. Gehört nach den gemachten Erfahrungen auch die Just-in-time-Produktion auf den Prüfstand? Und bleibt die internationale Arbeitsteilung, die offene Grenzen als Voraussetzung hat, „alternativlos“? Die offenen Grenzen sind ja nicht durch Corona bedroht.
Uwe Fritsch: Wir alle hoffen, dass wir die „Coronakrise“ bald im Griff oder besser noch überwunden haben. Genauso wünschen wir uns, dass wir alle gesund bleiben. Wenn die Krise überstanden ist, wird man sicherlich auch Erkenntnisse und Lehren daraus ziehen müssen.
Das gilt für unser gesellschaftliches Leben und für Themen wie die Absicherung der Entgelte bei Krisen aller Art und die Existenzsicherung für alle in einem der reichsten Länder dieser Erde. Die Gesundheit darf nicht zur Ware werden und deshalb: alle Krankenhäuser zurück in die „Öffentlichen Hände“, wir brauchen mehr Pflegekräfte, und nicht nur in Krisenzeiten, und vieles mehr.
Heute ist es noch zu früh, Vorhersagen zu wirtschaftlichen und ökonomischen Grundtendenzen nach der „Coronakrise“ zu machen. Ich persönlich erwarte aber nicht, dass die erreichte Entwicklungsstufe der Gesellschaft, kapitalistischer Wirtschaft und Ökonomie einschließlich der Globalisierung kurzfristig in Frage gestellt wird. Aktuell wird uns doch gezeigt, wie weit die wirtschaftliche und finanzielle Verflechtung in Europa heute schon geht. Wir erleben gerade im Betrieb, wie anfällig die Wertschöpfungsketten durch Grenzschließungen sind.
In den Konzernvorständen wird diese Situation sicher zu neuen kapitalistischen Strategien führen. Deshalb werden wir auch weiterhin für unsere gesellschaftlichen und politischen Alternativen werben und streiten müssen.
Zum Schluss noch ein ganz konkreter Vorschlag: Das meistgebrauchte Wort in dieser Zeit ist wieder das Wort „Solidarität“. Jede und jeder soll sich solidarisch verhalten. Dann können auch alle Aktionäre in der Republik in diesem Jahr solidarisch und freiwillig auf ihre Dividende verzichten!
Die Fragen stellte Werner Sarbok
Dieser Artikel erschien mit der Ausgabe vom 27. März in der Unsere Zeit – Wochenzeitung der DKP.