VW: Sorgen unten – Superprofite oben

Was haben sie gejammert, die Autobosse. Es würde zuviel von ihnen verlangt: Sie sollten möglichst bald saubere Autos bauen, mit denen sich zunächst weniger Geld verdienen lässt. Gleichzeitig müssten sie in die neue Technik viele Milliarden investieren und Mitarbeiter umlernen oder gar entlassen. Und dann noch die Corona-Pandemie und der Halbleitermangel.

Die aktuellen Zahlen lassen beim besten Willen keinen Grund zum Jammern erkennen: Daimler, VW, BMW, Tesla – sie alle vermeldeten zuletzt Rekordgewinne. Beispiel Volkswagen: „Konzern legt Bilanz vor: Der Volkswagen-Konzern hat in der ersten Jahreshälfte im laufenden Geschäft so viel verdient wie nie. Das Betriebsergebnis liegt bei 11,4 Milliarden Euro, der  Gewinn im ersten Halbjahr bei 8,5 Milliarden Euro – alle Premiummarken laufen gut“, meldete die Wolfsburger Allgemeine (WAZ, 30.7.21).

Aber viel war für die Konzernlenker noch nie genug. Deshalb will VW sein Stammwerk in Wolfsburg radikal umbauen, „um gegen Tesla und die Konkurrenz aus China zu bestehen.“ Im Vergleich zu Tesla und den chinesischen Herstellern sei VW zu teuer und zu langsam, betont Konzern-Chef Herbert Diess. Nun gehe es darum, den „Kampf gegen Grünheide“, das neue Tesla-Werk,aufzunehmen. Bleibe alles beim Alten, so Diess, sei VW nicht mehr wettbewerbsfähig. Und er schockt die Belegschaft mit der Drohung von massivem Personalabbau: „Volkswagen-Konzern-Chef Herbert Diess droht damit, dass bei der Marke VW 30.000 Stellen wegfallen könnten – wenn das Unternehmen jetzt nicht die Weichen in die richtige Richtung stellt“ (WAZ, 14.10.21). Und er fordert Geschlossenheit bei den bevorstehenden Herausforderungen. „Wir brauchen Lebenswillen und einen Ruck am Standort“, sagt er. Was er damit meint? Einen radikalen Umbau des Stammwerks in Wolfsburg, eine Operation am offenen Herzen von Volkswagen? Wenngleich noch kein einziges Auto in Grünheide gebaut wurde, verbreiten die VW-Manager die Mär von der um ein vielfaches höheren Produktivität: So würde ein Tesla 3 in zehn Stunden gebaut, während für einen VW ID.3 in Zwickau mehr als 30 Stunden aufgewandt würden.

Es war absehbar, dass die Radikalisierung der Konkurrenz zu Tesla die Situation für die Beschäftigten erheblich verschlechtern wird. Dafür haben Musk und Tesla in Grünheide mehr als eine Milliarde Euro Subventionen bekommen. Herbert Diess und Elon Musk verstehen sich prächtig. Die beiden spielen sich die Bälle zu – jeder behauptet wechselseitig, er müsse auf  die Situation des anderen reagieren. Das gleicht  einer Art von Kannibalismus, in der die Beschäftigten selbst und ihre Arbeits-, Lohn- und Leistungsbedingungen gegeneinander in Stellung gebracht werden. Dies ist auch politisch äußerst gefährlich, wie an der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung und den Wahlergebnissen in Zentren der Automobilindustrie deutlich wird.

Fast zum Eklat in Wolfsburg kam es, als Konzern-Chef Diess an der für den 4.11. angesetzten Betriebsversammlung, die erste seit Ende 2019, wegen einer Reise zu Investoren in die USA nicht teilnehmen wollte. Die nach dem Wechsel von Bernd Osterloh als Personalchef zur VW-LKW-Sparte TratonSE neue Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo wirft ihm daraufhin mangelndes Gespür für die Situation der Werker vor. So läge der Produktionsstand auf dem Niveau der 1950er Jahre, mehr als 50 Schließtage lägen hinter den Werkern  sowie dutzende abgesagte Schichten. „Ich stelle mal klar, was das mit den Kollegen macht: Sie haben Angst! Angst um ihre Arbeit, um ihre Familien, um ihre Existenz.“ Und weiter: „Uns fehlen schlicht die Teile, mit denen wir unsere Autos bauen können“, sagte sie und setzt einen Seitenhieb: „Nicht das Werk oder die Beschäftigten sind ineffizient, vielmehr sind der Teilemangel bei VW ein Armutszeugnis für einen Weltkonzern“.

Diess, der sich schließlich doch zur Absage seiner USA-Reise bequemt hatte, wiederholte auf der Betriebsversammlung seine Personalabbau-Drohungen nicht wörtlich, nahm den Druck aber auch nicht zurück. Er mache sich Sorgen um den Standort Wolfsburg, denn: „Alte Erfolge zählen nicht mehr in der neuen Autowelt“. Und da setze nun eben Tesla die Standards. Gleichzeitig hatte er aber etwas Seelenbalsam für die Beschäftigten im Gepäck und versprach neue Perspektiven durch das Modell „Trinity“ – auf Deutsch Dreieinigkeit. Das soll in einem völlig neuen Werk ab 2026 in Wolfsburg gebaut werden, autonom und elektrisch fahren und eine neue Ikone der Autowelt werden. Kein geringer Anspruch.

Inzwischen ist bekannt geworden, dass das „Trinity“-Werk außerhalb der bestehenden Struktur, aber im Wolfsburger Umland gebaut werden soll. Dort sollen aber die bisherigen VW-Tarifverträge gelten. Der VW-Markenvorstand Brandstätter schreibt dazu auf seinem LinkedIn-Account: „Die Grundlage für alles, was wir planen, ist Wirtschaftlichkeit! Diese Transformation wird nur dann funktionieren, wenn sie sich rechnet“. Damit dürften drastische Sparmaßnahmen, Produktivitätssteigerungen und Personalabbau angekündigt sein. Ob die IG Metall als Interessenvertreterin der Autobauer mit ihren bisherigen eher handzahmen Forderungen und Aktionen zur Gestaltung dieser Transformation dagegen halten kann, muss sich erst noch zeigen.

Alfred Hartung, Wolfsburg

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